Page 3 - Holzforum Ausgabe 1/2020
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Kommentar

        Die Gretchenfrage
        stellen

                   „Nun sag, wie hast du’s mit der Religion“, fragt Gretchen den Heinrich Faust in Goethes
                   gleichnamigen Drama. Die heutige Gretchenfrage könnte in Anlehnung daran vielleicht
                   lauten: „Nun sag, wie hast du’s mit dem Klima“. War zu Ende des 18., Anfang des 19.
                   Jahrhunderts die Frage nach der Religion noch stark eine, der Zeitgenossen gerne aus-
                   wichen und die verwoben war mit nicht nur dem persönlichen Weltbild, sondern auch
                   meist einer gesellschaftlichen und politischen Haltung, ist dies heute in vielerlei Hinsicht
                   das Thema Klimawandel.

                       Dabei zeigt sich heute eine ähnlich teils widersprüchliche Haltung, wie einst zu Goe-
                   thes Zeiten. So erfuhr man beim Gang durch die Gänge auf dem jüngsten Branchentag
                   in Köln, dass viele Bodenhersteller gezielt neue „Öko“-Böden heraus bringen – ob auf
                   Holz- oder Erdölbasis, sei bei der Namensgebung einmal dahin gestellt – und diese auch
        so bewerben. Gleichzeitig aber war zu hören, dass sich der Trend der Vorjahre weiter fortsetzt und
        der Kunde zuletzt vor allem Vinyl- und Design-Böden nachfragte – Klimadiskussion hin oder her.
            Auf den gleichen Widerspruch machte jüngst Michael Schmid in seiner Funktion als vdp-Vorsit-
        zender aufmerksam. Bei der Vorstellung des leichten Minus für den Parkettabsatz (s. Bericht Seite
        30) merkte er in Bezug auf die gleichzeitig hohe Nachfrage nach Kunststoffböden an: „Angesichts
        der Vermüllung unseres Planeten durch Plastikmüll ist es doch wirklich verwunderlich, wie sich
        der deutsche Konsument verhält“. Umso erstaunlicher, da Holz in seiner Form als verlegtes Parkett
        nicht nur bei der Herstellung ein größtenteils nachhaltiger Werkstoff ist, sondern gleichzeitig ein
        CO2-Speicher. Laut Schmids eigener Rechnung würden durch einen Quadratmeter Parkett etwa
        12,5 kg CO2 in Form von Kohlenstoff gebunden. Hochgerechnet auf die jährlich in Deutschland von
        den vdp-Mitgliedern abgesetzte Parkettmenge ergäbe sich so eine CO2-Speicherung von 125.000
        Tonnen – entsprechend jährlichen 961,5 Mio. gefahrenen Pkw-Kilometern.
            Über Details lässt sich bekanntlich streiten, der Grundgedanke hinter Schmids Aussagen ist je-
        doch für den Holzhandel absolut richtig – ob es nun um Böden geht oder andere Produkte. Es gilt,
        das Thema Klimawandel und Umweltschutz offensiv aufzugreifen und in das eigene Marketing mit
        einzubauen, der Holzfachhandel kann hier nur gewinnen – auch wenn dies erfordert, den Kunden
        an der ein oder anderen Stelle mit der Gretchenfrage des Klimas zu konfrontieren.

        Ihnen viel Spaß beim Lesen,

        Michael Greiner  Tel.: 07243/575-205
                         m.greiner@daehne.de

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